Rückblick 1 – Verhalten im/ zum Raum & Materialität

Rückblick 1 – Verhalten im/ zum Raum & Materialität

Am Wochenende vom 17.-19. Februar fand in der Innenstadt Oldenburgs die erlebbare Ausstellung „SCHLAFZWISCHENRÄUME(N)“ statt, die von Studierenden des Masters Kulturanalysen konzipiert wurde. Auf dieser Veranstaltung wurden die Forschungsergebnisse der Studierenden zu den Themen „Schlafräumen, Wachträumen und Zwischenräumen“ präsentiert. Als teilnehmende Beobachterin habe ich die Ausstellung an allen drei Ausstellungstagen verfolgt, informelle Gespräche mit Besuchenden und Ausstellenden geführt und meine Beobachtungen durch Feldnotizen und Fotos dokumentiert. Ich selbst gehöre der Gruppe der ausstellenden Studierenden an und habe mich als solche auch zu erkennen gegeben. Ich bin mit dem Ausstellungsthema vertraut, habe die Ausstellung allerdings nicht mitkonzipiert, sodass ich eine gewisse Distanz zur Ausstellung als dem zu beobachtenden Feld habe.

Die Ausstellung bestand aus verschiedenen Stationen, die mithilfe des Flyers von den Besuchenden entdeckt werden konnten. Diese vermittelten durch unterschiedliche Formate wie Bild- und Tondateien, Texte oder interaktive Teilnahmemöglichkeiten die Ergebnisse der Forschungen. Im Zentrum des Raumes, der eine ehemalige Ladenfläche zu sein schien, befanden sich Stationen, die sich beim Erforschen des (Nicht-)Schlafs als Verbindungen zwischen den sechs Unterprojekten auftaten. Farbmarkierungen, die die einzelnen Unterprojekte repräsentierten, verliefen quer durch den Raum auf dem Boden entlang dieser Stationen und führten die Besuchenden schließlich zu sechs einzelnen kleinen Themen-Räumen, in der die Besuchenden noch mehr zu den einzelnen Unterprojekten erfahren konnten. Die einzelnen Unterprojektthemen waren ‚Schlafen im öffentlichen Raum‘, ‚Luzides Träumen‘, ‚Trancezustände in der Clubkultur‘, ‚Schlafen in virtuellen Welten‘, ‚Routinen & Atmosphären‘ sowie ‚Produktives Zubettgehen‘.

Eine wichtige Verbindung zwischen den Unterprojekten war offensichtlich das Thema „Raum“, welches sich insbesondere an den zwei Stationen „Sich im/ zum Raum verhalten“ und „Was macht einen Raum aus“ zeigte. Erstere Station war als solche nicht unbedingt so zu erkennen. Direkt im Eingangsbereich stand ein Sofa mit dem Rücken zur Tür, ein kleiner Couchtisch auf einem Teppich, eine Gießkanne, Flip-Flops und ein Besen. Im Flyer begegneten den Besuchenden die Fragen, was ein Raum mit ihnen machen würde, wie sie sich verhalten würden, wenn sie unbekanntes Terrain beträten. Und ob es Räume oder gar Gegenstände gäbe, die ihnen sagen würden, wie sie sich zu verhalten hätten. Die zweite auf „Raum“-bezogene Station wurde dargestellt durch sechs kleine Ausstellungskästen, in denen einzelne Gegenstände lagen, die auf die Unterprojekte verwiesen. In einem siebten Kästchen befanden sich Möbel und Figuren eines Puppenhauses und stellten einen klassischen Wohnraum dar. Der Flyer verwies darauf, dass nicht jeder Raum ein physischer Raum sei und fragte danach, was einen Raum ausmache. In den Forschungen bezogen sich die Studierenden auf verschiedene Raumkonzepte und stellten in den Kästchen Gegenstände aus, die in den jeweiligen Unterprojekten erheblich zur Entstehung des Raumes beitrugen, wie beispielsweise eine Virtual-Reality-Brille im Kontext der Forschung zu Schlaf in virtuellen Räumen.

Während meiner Beobachtungen gewann ich den Eindruck, dass zuerst einmal schon die Vermutung darüber, in welcher Art Raum die Menschen sich befinden, dazu beiträgt, wie sie sich im Raum verhalten oder auch darüber denken, wie sie sich vermeintlich verhalten sollen. Im Verlauf der Vernissage kam, vermutlich angelockt von der Musik und den tanzenden Menschen, eine Gruppe junger Menschen in die Ausstellung, die zuvor auf einer privaten Feier im angrenzenden Haus waren. In der Annahme, dass es sich bei der Vernissage um eine gewöhnliche (private) Feier handele, kamen die fünf Menschen herein. Ich begrüßte die mir unbekannten Leute und erzählte, dass sie sich nicht auf einer privaten Feier befänden, sondern auf einer Ausstellung eines Universitätsprojektes. Einer männlich gelesenen Person entfuhr ein überraschtes „Oh!“, während er sich etwas zu ducken schien, die Augenbrauen hochriss und die Arme, bis etwa auf Höhe des Kinns, hob. Die Reaktion auf die Erkenntnis darüber, wo er sich nun befand, war interessant, denn scheinbar verband er mit dem Begriff „Ausstellung“ gewisse Vorstellungen des Sich-Verhaltens. Seine Körpersprache signalisierte zum einen eine Überraschung darüber, sich auf einer Ausstellung beziehungsweise Vernissage zu befinden, vermutlich eine Veranstaltungsform, die nicht alltäglich für ihn ist. Interessanter aber noch fand ich die entwaffnend wirkende Arm-Bewegung, die mir mitteilte, dass er mit einer Ausstellung ein vorsichtiges Verhalten im Raum verband und in dieser Art Raum nichts anfassen oder beschädigen wollte.

Ein ähnlich vorsichtiges oder zögerliches Verhalten war auch an den beiden Ausstellungstagen tagsüber zu bemerken. Viele Besuchende kamen langsam in den Ausstellungsraum und wirkten unsicher, wie sie sich verhalten sollten. Einige schauten sich im Eingangsbereich um, andere warfen etwas fragende Blicke zum mittig platzierten Tisch, auf dem Flyer lagen und hinter dem wir Studierenden saßen. In den meisten Fällen sprachen wir die Besuchenden direkt an und boten ihnen einen Flyer an, mit dem Hinweis, dass dieser bei der Orientierung und Verständlichkeit der Ausstellung helfen könnte. Es schien, als ob die Flyer und zusätzlichen Erklärungen von vielen mit einer gewissen Erleichterung entgegengenommen wurden, dass sie froh wären, Unterstützung dabei zu bekommen, sich im Raum zu orientieren und sich zum Raum zu verhalten. Daraufhin wirkte es aber so, als ob die meisten Besuchenden sich weniger unsicher durch den Raum bewegten, Dinge berührten und ausprobierten. Je nach Gegenstand gab es aber auch Unterschiede. Beispielsweise an der vorhin beschriebenen Station mit Sofa und Besen. Zwar wurde das Sofa in der Funktion eines Sitzplatzes, trotz des Ausstellungskontextes, als Sitzplatz erkannt und teils genutzt, die anderen Gegenstände, wie beispielsweise der Besen wurden aber, trotz Aufforderung im Flyer, nicht berührt. Eine weibliche gelesene Person scherzte beim Anblick des Besens zu ihren Freund*innen: „Ein Besen?! Soll ich hier jetzt fegen, oder was?!“ und lachte laut. Der Gegenstand hatte ihr also scheinbar schon mitgeteilt, was seine übliche Funktion war, führte im Kontext der Ausstellung aber nicht dazu, dass sie sich diesem entsprechend verhielt und zu fegen begann. Viel eher löste der Gegensatz „Ausstellung – Hausarbeit“ (öffentlicher und privater Raum) eine Irritation aus, die sie amüsierte.

Das Materialität Räume konstituiert, wurde in den Forschungen thematisiert, zeigte sich aber auch in der Ausstellung selbst und in ihrer Rezeption immer wieder. Zum einen war Materialität ein stark präsentes Thema in der Schlaf-Ausstellung. Die von Materialität konstituierten Räume lösten häufig wieder Austausche über Materialität aus, wie beispielsweise die Frage einer mir bekannten Besuchenden danach, wie viele Kissen ich denn zuhause im Bett hätte. Zum anderen wurden Gegenstände auch angefasst und je nach Atmosphäre unterschiedlich genutzt. Die Atmosphäre wird von den Dingen in einem Raum mitgestaltet, wobei diese Dinge nach Poehls (2020) auch immateriell sein können, wie beispielsweise Licht und Klänge. Spannend war hierzu unter anderem der Unterschied der Nutzung des Sofas während der Vernissage und an den folgenden Ausstellungstagen. Da eine Garderobe fehlte, wurde das Sofa, im Eingangsbereich stehend, auf der Vernissage schnell als Ablage für die Winterjacken der Besuchenden genutzt. An den weiteren Ausstellungstagen kam dies nicht vor. Ich denke, dass unter anderem die immaterielle Materialität zu diesem Unterschied beitrug. Durch Musik und auch Kontext der Veranstaltung konstituierte sich ein Raum, in dem sich die Besuchenden länger aufhielten, ins Gespräch kamen und tanzten, sodass Winterjacken ab einem gewissen Punkt (oder von vornherein?) zu warm und unbequem wurden/ waren. An den weiteren Ausstellungstagen hingegen stand die Tür auf, es war also kälter, und es lief keine Musik. Hier konstituierte sich nun also ein, trotz gleicher Gegenstände, anderer Raum, der eher Ausstellung und weniger Veranstaltung oder soziales Event war. Entsprechend passten die Besuchenden auch ihr Verhalten an den Raum an und legten ihre Jacken nicht ab.

Mit menschlichem Verhalten geht es auch im nächsten Blogeintrag weiter. Dort werde ich näher darauf eingehen, wie die Ausstellung von den Oldenburger*innen angenommen wurde und welche Austausche sich ergaben.  

Dorothee Grafe

Literaturverweise:

Poehls, K. (2020). Materialität. In: Heimerdinger, T./ Tauschek, M. (Hrsg.). Kulturtheoretisch argumentieren. Ein Arbeitsbuch. Münster/ New York. Waxmann.

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